Lange hatte Diagnostizieren in der Sozialen Arbeit keinen guten Ruf. So stand in den 1980er Jahren die herrschaftliche Benutzung diagnostischer Kriterien zur Ausübung institutioneller Macht im Mittelpunkt der Kritik (vgl. Kunstreich 2003). Eine «sozialpädagogische Diagnose» – ausgerichtet an der biographischen Methode und unterstützt mit hermeneuti- scher Methodik – dominierte den Diskurs (vgl. Pantucek 2006). Obgleich nun 20 Jahre später von der «neodiagnostischen Wende» gesprochen wird (vgl. Kunstreich 2003), besteht in der Sozialen Arbeit nicht einmal ein Konsens über die angemessene Kennzeichnung der Aufgabe, und zwischen den Polen von Fallverstehen und standardisierter Diagnostik werden die unterschiedlichsten Positionen vertreten (vgl. Heiner 2005).
Anhand einer empirischen Studie zu diagnostisch relevanten Deutungsmustern von Fachkräften der Sozialen Arbeit zeigt Hüttemann auf, dass sich keine sinnvolle Alternative zur Diagnostik anbietet, denn diagnostische Interpretationen erfolgen auch ohne bewusste Intention (vgl. Hüttemann 2008). Die Soziale Arbeit ist also im Zuge der gewünschten Professionalisierung gefordert, sich der Wege zu ihren Situationsanalysen bewusster zu werden.
Vor diesem Hintergrund geht der folgende Beitrag zunächst der Frage nach, inwiefern die soziale Diagnose ein zentrales Element Sozialer Arbeit darstellt, wenn diese sich als Profession mit entsprechender Problemlösungskompetenz und Legitimation behaupten will. In einem zweiten Teil wird aufgezeigt, welche Sach-, Wert- und Ziel- sowie Verfahrensaspekte für die soziale Diagnostik zu bedenken und besprechen sind unter der Annahme, dass das Eigenständige der sozialen Diagnostik nur herauskristallisiert werden kann, wenn man diese als Teilmenge des «Ganzen der Sozialen Arbeit» und damit in einem «Kräftefeld» unterschiedlicher Anforderungen, Interessen und Ziele begreift und analysiert.
Author(s): Cornelia Rüegger
For Full-Text PDF Click Here