Einleitung
Die rasanten und oftmals unvorhersehbaren Entwicklungen rund um Covid-19 führen seit dem Frühjahr 2020 zu erheblichen Einschnitten in Lebens-, Erwerbs- und Ausbildungssituationen von Menschen auf der ganzen Welt. Auch in der Schweiz führten die vom Bund ergriffenen Massnahmen dazu, dass sich das Leben der in der Schweiz lebenden Bevölkerung massiv verändert hat. Allerdings traf dies die verschiedenen Bevölkerungsgruppen in unterschiedlicher Weise. Vielerorts wurden insbesondere diejenigen Menschen hart getroffen, die bereits marginalisiert waren, z.B. auch Adressat*innen der Sozialen Arbeit (Banks et al. 2020). Soziale Arbeit war und ist gefordert, diese neu entstehenden sozialen Ungleichheiten aufzudecken, neue Konzepte zu entwickeln und innovative Ansätze zu erproben. Gleichzeitig bedarf es aber auch der Reflexion der eigenen Situation in Disziplin und Profession. Welche Fachpersonen sind besonders herausgefordert und leiden unter der aktuellen Situation? Inwiefern verändert die Corona-Pandemie die Bedingungen professionellen Handelns? In diesem Zusammenhang stellt sich unter anderem auch die Frage nach der aktuellen Situation für Studierende der Sozialen Arbeit. Wie hat sich die Lebens- und Studiensituation für sie in dieser aussergewöhnlichen Situation verändert? Welche Gruppen von Studierenden sind besonders betroffen?
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der letzten Frage nach der Situation der Studierenden. Als besonderen Schwerpunkt nehmen wir die studentische Perspektive auf Veränderungen hinsichtlich der Studienmotivation, der wahrgenommenen Unterstützung durch Kommiliton*innen, der Zuversicht, das Studium erfolgreich zu meistern und der Zufriedenheit mit der eigenen Work-Life Balance durch die Umstellung auf Home-Learning in den Blick.
Empirische Grundlage der Überlegungen bildet eine zwischen dem 29. April und dem 8. Mai 2020 durchgeführte Online-Befragung von 437 Bachelor- und Masterstudierenden der Sozialen Arbeit an der FHS St.Gallen (Gesamtpopulation = 680, Rücklauf = 64.3%). Zum Zeitpunkt der Befragung fanden an der FHS St.Gallen keine Präsenzveranstaltungen statt, d.h., alle Lehrformate erfolgten ausschliesslich online-basiert. Veränderungen in Motivation und Zuversicht der Studierenden wurden über fünf Items aus der Studie von Schober, Lüftenegger und Spiel (2020) gemessen (siehe Abbildung 1). Die Teilnehmenden sollten den Grad ihrer Zustimmung mit Hilfe einer fünf-stufigen Likert-Skala zum Ausdruck bringen, wobei jeweils die Situation vor der Umstellung auf Home-Learning und ein zweites Mal die Situation zum Befragungszeitpunkt zur Bewertung standen. Zum Vergleich der Werte wurde für jedes Item über alle Teilnehmenden hinweg der arithmetische Mittelwert gebildet (siehe ebenfalls Abbildung 1). Um Einflussfaktoren für potenzielle Veränderungen zu eruieren wurden sieben studiumsbezogene Herausforderungen erfragt (siehe Tabelle 1) und auf ihre Zusammenhänge mit den Motivations- und Zuversichtsvariablen geprüft.
Home-Learning bedroht den Studienerfolg und führt zu Verunsicherung und Unzufriedenheit
Die Daten zeigen, dass durch die Umstellung auf Home-Learning der Spass am Studium, die wahrgenommene Unterstützung durch Kommiliton*innen, die Überzeugung, den Anforderungen des Studiums gerecht zu werden sowie die Zuversicht, bevorstehende Prüfungen zu bestehen, deutlich abnehmen. Ein klarer Rückgang ist auch bei der Zufriedenheit mit der eigenen Work-Life Balance ersichtlich (siehe Abbildung 1). Der grösste Unterschied besteht hinsichtlich der studienspezifischen Anforderungen: Während die 401 Teilnehmenden mit Blick auf ihre Situation vor der Umstellung auf Home-Learning der Aussage „Ich komme mit den Anforderungen in meinem Studium gut zurecht“ im Durchschnitt klar zustimmen (M=3.3), liegt der Mittelwert der Einschätzung der derzeitigen Situation (M= 1.9) im ablehnenden Bereich.
Komplexe Herausforderungen durch das Home-Learning in Zeiten von Corona
Es fällt auf, dass im Zuge der Umstellung auf Home-Learning bei einigen Studierenden die Motivation und Zuversicht sehr viel stärker abnimmt als bei anderen. Es stellt sich also die Frage, welche Faktoren diese Abnahme beeinflussen. In der vorliegenden Erhebung wurden sieben Herausforderungen als mögliche Einflussfaktoren untersucht. Tabelle 1 gibt hierzu eine deskriptive Übersicht.
Werden die in Tabelle 1 dargestellten Herausforderungen auf ihren Zusammenhang mit den beobachteten Veränderungen von Motivation und Zuversicht der Studierenden untersucht, ergeben sich – wie in Tabelle 2 dargestellt – ausnahmslos negative Korrelationen. Dies bedeutet beispielsweise: Je umfassender die technischen Einschränkungen, desto stärker nimmt die Zuversicht der Studierenden ab, dass sie die anstehenden Prüfungen bestehen (r=-.222, p<.001, n=399). Oder: Je stärker Ablenkung als Herausforderung empfunden wird, desto stärker nimmt der Spass am Studium ab (r=-.363, p<.001, n=401). Abbildung 2 verdeutlicht diesen exemplarischen Zusammenhang.
Ähnliche Deduktionen liessen sich zu allen geprüften Einflussvariablen formulieren. Deutlich wird dabei, dass die Home-Learning-Situation im Kontext der Corona-Pandemie die Lebens- und Studiensituation stark belastet. Erkennbar ist eine Mischung aus unterschiedlichsten Herausforderungen, die von emotionalen über sozialen bis hin zu technischen Herausforderungen das Studieren verkompliziert hat. Tabelle 2 bietet hierzu einen Überblick.
Angemessene Lehrformen für herausfordernde Zeiten entwickeln
Im präsentierten Einblick in die Daten der Studierendenbefragung zeigt sich eine klare Tendenz: Das Studieren ist unter Covid-19-Bedingungen für viele aufwändiger und wesentlich herausfordernder geworden. Einschneidend sind die Veränderungen vor allem hinsichtlich der Studienmotivation und der Einschätzung, mit den Studienanforderungen zurecht zu kommen. Entsprechend sinkt auch die Zuversicht, das Studium erfolgreich weiterzuführen bzw. abzuschliessen. Nicht zuletzt ist aber auch eine Erosion an Unterstützungsmöglichkeiten und damit einhergehend eine verschlechterte Work-Life-Balance ersichtlich.
Die Gründe hierfür sind vielfältig und durch verschiedene Herausforderungen bestimmt. Beispielsweise ist es für viele Studierende schwierig, einen ungestörten Arbeitsplatz ohne Ablenkung zu finden. Ebenso scheinen sich technische Einschränkungen negativ auf Motivation und Zuversicht auszuwirken. Nicht zu unterschätzen sind ausserdem psychosoziale Belastungssituationen, welche im Zuge abnehmender Zuversicht und verstärkter Unsicherheit tendenziell vermehrt und verstärkt auftreten. Einseitige Lösungsansätze, die sich allein auf die Didaktik in der Online-Lehre konzentrierten, können in einer solchen Konstellation nicht greifen. Vielmehr muss den unterschiedlichen Gruppen von Studierenden mit ihren spezifischen Herausforderungen Rechnung getragen werden.
Diesbezüglich stellt sich die Frage, wie Ausbildungsstätten zukünftiger Sozialarbeitender angemessen auf diese Begebenheiten reagieren. Klar ist, dass das Studieren im vergangenen Semester erheblich durch die Home-Learning-Situation im Kontext der Corona-Pandemie belastet wurde und in der Kürze der Zeit nicht umfassend auf die Bedarfe der Studierenden eingegangen werden konnte. Dies lag auch daran, dass nicht nur das Home-Learning, sondern auch die Verunsicherung durch die Pandemie selbst Studierende und Lehrende herausforderte. Es scheint dementsprechend unerlässlich, gemeinsam mit den Studierenden in ihren unterschiedlichen Lebens- und Studiensituationen die Gestaltung adäquater Studienformate zu entwickeln. Betreuungsverpflichtungen, Übernahme von weiteren Engagements, kurzfristige Veränderungen der Arbeitssituation sowie die Zugehörigkeit zur Risikogruppe, psychosoziale Belastungen durch Verunsicherung oder fehlende soziale Unterstützung von studierenden Peers betreffen die Studierenden in unterschiedlicher Weise. Die Online-Lehre sollte nicht vom Computer des Lehrenden aus gedacht werden, sondern von der komplexen Lernsituation der Studierenden. Eine Didaktik der Sozialen Arbeit hat – gerade in solch herausfordernden Zeiten – zur Aufgabe, das Studium von der Bewältigungslage der Studierenden zu gestalten und dabei auch mit den Studierenden zusammen kreativ und innovativ neue Lehr-Lernformate zu entwickeln.
Bibliographie
Banks, S., Cai, T., de Jonge, E., Shears, J., Shum, M., Sobočan, A.M., Strom, K., Truell, R., Úriz, M.J., & Weinberg, M. (2020). Ethical Challenges for Social Workers During Covid-19: A Global Perspective. Rheinfelden: The International Federation of Social Workers.
Schober, B., Lüftenegger, M., & Spiel, C. (2020). Lernen unter COVID-19-Bedingungen.
https://lernencovid19.univie.ac.at (Zugriff am 09.05.2020)
Authors
Thomas Schmid, MSc Soziale Arbeit arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziale Arbeit und Räume der FHS St. Gallen. Korrespondenz: thomas.schmid (at) ost.ch
Stefan Köngeter, Prof. Dr. phil. habil. ist Co-Institutsleiter am Institut für Soziale Arbeit der FHS St.Gallen. Korrespondenz: stefan.koengeter (at) ost.ch
Tobias Kindler, MSc Soziale Arbeit arbeitet als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Soziale Arbeit und Räume der FHS St.Gallen. Korrespondenz: tobias.kindler (at) ost.ch
Recommended citation
Thomas Schmid, Stefan Köngeter, Tobias Kindler (2020). Soziale Arbeit studieren unter Covid-19-Bedingungen. Motivation, Zuversicht und Herausforderungen von Studierenden an der Fachhochschule St.Gallen. In: Schweizerische Zeitschrift für Soziale Arbeit. Soziale Arbeit in Zeiten der Covid-19 Pandemie. S. 1-5.
URL: https://szsa.ch/covid19_1-5/